Gesundheitswelt der AOK Sachsen-Anhalt

Parentifizierung

Eine schwangere Frau wartet am Flughafen auf das Flugzeug

Wenn Kinder zu früh Verantwortung übernehmen 

Unbeschwerte Kindheit adé? Kinder sollten sorgenfrei in einer liebevollen Umgebung aufwachsen und einfach Kind sein dürfen. Doch in manchen Familien übernehmen sie schon früh übermäßige Verantwortung für Eltern oder Geschwister – ein Phänomen, das als „Parentifizierung“ bezeichnet wird. Dabei rutschen Kinder unbewusst in eine Fürsorgerolle, die eigentlich den Eltern zusteht – eine Rolle, der sie entwicklungsbedingt nicht gewachsen sind.

Parentifizierung tritt häufig auf, wenn Eltern durch psychische oder körperliche Erkrankungen, Trennungen, finanzielle Sorgen oder andere Belastungen ihre elterlichen Aufgaben nicht erfüllen können. Das gesunde Maß kindlicher Mitverantwortung wird überschritten – und Kinder werden zu kleinen Erwachsenen. Ihre eigenen Bedürfnisse rücken in den Hintergrund, was bis ins Erwachsenenalter Spuren wie Angststörungen hinterlassen kann.

Erfahren Sie mehr über Ursachen, Symptome und Formen der Parentifizierung – und welche Hilfsangebote Familien dabei unterstützen, aus diesem Muster auszubrechen.

Wussten Sie schon, dass…

  • viele Betroffene erst im Erwachsenenalter erkennen, dass sie parentifiziert wurden?
  • wir Kurse zum Multimodalen Stressmanagement für Schulkinder bezuschussen?
  • parentifizierte Kinder häufiger unter Angststörungen und Depressionen leiden?
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Was ist Parentifizierung?

Parentifizierung beschreibt eine Rollenumkehr in der Familie: Das Kind übernimmt Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die eigentlich den Eltern zustehen. Es wird nicht altersgerecht gefordert, sondern rutscht in die Elternrolle – oft mit emotionaler oder organisatorischer Überforderung. Eltern erwarten, dass ihr Kind für sie da ist – emotional, organisatorisch oder im Haushalt. Meist geschieht das unbewusst, nicht aus böser Absicht, sondern aus eigener Überforderung oder belastenden Lebensumständen. Das Kind stellt dabei seine eigenen Bedürfnisse zurück, um sich um andere zu kümmern.

Welche Arten von Parentifizierung gibt es?

Die Auswirkungen der Parentifizierung sind vielschichtig und lassen sich in drei zentrale Kategorien einteilen. 

  • Emotionale Parentifizierung

    Das Kind wird zur emotionalen Stütze für die Eltern. Es übernimmt die Rolle des Zuhörers, Trösters oder Beraters, wenn die Eltern mit ihren eigenen Problemen nicht zurechtkommen. Häufig sind schwierige Lebensumstände der Auslöser. Dazu zählen unter anderem:

    • eine psychische Erkrankung
    • schwierige Beziehungen oder eine Trennung
    • eine Suchterkrankung
    • die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse

    Das Kind fühlt sich zunehmend verantwortlich für das elterliche Wohlbefinden, sodass die eigene emotionale Entwicklung auf der Strecke bleibt. Oft erleben Kinder Schuldgefühle, unterdrücken ihre Bedürfnisse oder haben Schwierigkeiten, eigene Grenzen wahrzunehmen.

  • Instrumentelle Parentifizierung

    Das Kind übernimmt praktische Aufgaben, alltägliche Verantwortungen und Pflichten, die eigentlich den Eltern obliegen. Dazu zählen unter anderem:

    • die Haushaltsführung wie Kochen, Putzen, Wäschewaschen
    • die Betreuung bzw. Erziehung jüngerer Geschwister
    • die Verwaltung finanzieller Angelegenheiten (vor allem bei älteren Kindern und Jugendlichen)
    • die Unterstützung eines kranken Elternteils

    Instrumentelle Parentifizierung tritt meist auf, wenn ein Elternteil körperlich eingeschränkt oder abwesend ist – etwa im Fall einer Suchtproblematik.

  • Verdeckte Parentifizierung

    Diese Form der Parentifizierung ist oft schwer zu erkennen, da sie subtil, also nicht offensichtlich, verläuft. Das Kind passt sich den Erwartungen und Bedürfnissen der Eltern an, ohne dass diese es aktiv dazu auffordern. Es lernt unbewusst, eigene Wünsche zurückzustellen, und spürt, dass die Eltern emotional instabil sind. Kinder verfallen dabei häufig in das Muster,„keinen Ärger machen“ zu wollen.

Ursachen und Symptome von Parentifizierung

Sowohl die Auswirkungen als auch die Ursachen von Parentifizierung sind vielschichtig. Häufige Auslöser sind:

  • alleinerziehende Eltern, die auf die Hilfe des Kindes angewiesen sind
  • finanzielle Not, die dazu führt, dass Kinder Aufgaben übernehmen müssen
  • Suchtprobleme eines oder beider Elternteile
  • familiäre Trennungen oder Verluste, durch die Kinder emotionale Unterstützung für ein Elternteil leisten müssen
  • Überlastung der Eltern, ausgelöst durch Stress oder Traumata

Kinder, die parentifiziert werden, zeigen oft verschiedene Symptome:

  • übermäßiges Verantwortungsgefühl und Perfektionismus ­– meist mit dem Wunsch die familiäre Stabilität aufrechtzuerhalten
  • Schwierigkeiten eigene Bedürfnisse wahrzunehmen oder zu äußern
  • eine erhöhte Reife – sie wirkennicht selten wie „kleine Erwachsene“
  • hohe Anpassungsfähigkeit – jedoch oft auf Kosten der eigenen Identität
  • Angst vor Fehlern und vermehrte Versagensängste
  • häufige Erschöpfung und psychosomatische Beschwerden wie Bauch-oder Kopfschmerzen
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Parentifizierung überwinden – Wege aus der Verantwortung

Parentifizierte Kinder tragen die Dynamik oft bis ins Erwachsenenalter mit sich und haben Schwierigkeiten, eigene Bedürfnisse zu priorisieren. Sie geraten häufiger in co-abhängige Beziehungen oder übernehmen übermäßig viel Verantwortung im Beruf.

Ein erster Schritt, um Parentifizierung zu überwinden, ist das Entwickeln eines Bewusstseins für die eigene Situation. Das bedeutet: Die eigenen Bedürfnisse erkennen und zulassen. Viele Erwachsene, die im Kindesalter parentifiziert wurden, haben nie gelernt, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Setzen sie sich jedoch bewusst Grenzen und achten aktiv auf ihre Bedürfnisse, können sie lernen, Verantwortung dort zu lassen, wo sie hingehört.

Doch dieser Weg ist oft leichter gesagt als getan. Tief verinnerlichte Muster lassen sich nicht einfach abschütteln – und konkrete, alltagstaugliche Lösungsvorschläge fehlen häufig. Die AOK Sachsen-Anhalt bietet Betroffenen psychotherapeutische Hilfe an, um Betroffene auf diesem Weg zu begleiten. Ein unterstützendes soziales Netzwerk kann zusätzlich helfen, neue Rollen zu finden – und das Gefühl, allein verantwortlich zu sein, nach und nach loszulassen.

Zu früh erwachsen – wie Parentifizierung die Zukunft prägt

Viele Betroffene entwickeln im Erwachsenenalter ein ausgeprägtes Helfersyndrom. Sie übernehmen oft auch in Partnerschaften oder im Beruf übermäßig viel Verantwortung für andere. Langfristig führt das zu Stress, einem Burnout oder Depressionen – und häufig auch zu Problemen in den Partnerschaften. Betroffene leiden unter anderem unter Angst vor Nähe oder dem Verlassenwerden. Sie haben in der Kindheit gelernt, dass Beziehungen immer mit Verantwortung und Belastung einhergehen. Auch Perfektionismus ist häufig eine langfristige Auswirkung, da sie sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen und unter dem Gefühl leiden, nie genug zu leisten.

Female psychologist counseling teenage boy in office

Unterstützungsangebote für Familien

Verschiedene Wege unterstützen Familien und betroffene Kinder, zum Beispiel im Rahmen einer Familientherapie. Diese Maßnahme kann helfen, Rollen neu zu definieren und die Verantwortung gerechter zu verteilen. Psychologische Beratung und Selbsthilfegruppen bieten ebenfalls einen wertvollen Austausch und zeigen Betroffenen, wie sie ihre eigenen Bedürfnisse besser wahrnehmen können. Soziale Unterstützungsangebote wie Kinderbetreuung sowie finanzielle Hilfen können überforderte Eltern entlasten und den Druck auf das Kind reduzieren. Sowohl Lehrer als auch Schulpsychologen können helfen, parentifizierte Kinder frühzeitig zu erkennen und sie zu unterstützen.

Viele Betroffene erleben durch eine professionelle und therapeutische Begleitung erstmals eine Entlastung und lösen sich von alten Mustern. Sie erlernen ein gesundes Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Selbstfürsorge. 

In Sachsen-Anhalt bieten viele Organisationen Hilfen zur Unterstützung überforderter Eltern und Kinder an:

  • Erziehungs- und Familienberatungsstellen 
  • Familienförderung und -bildung
  • FamilienPass Sachsen-Anhalt, 
  • SOS-Kinderdorf Sachsen-Anhalt

Gesunde Familienrollen: Wege aus der Parentifizierung

Muster der Parentifizierung sind auch in Sachsen-Anhalt weit verbreitet, aber oft ein „unsichtbares“ Problem. Langfristig hat dies Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit. Betroffene Kinder verlieren ihre eigene Kindheit und tragen die Muster häufig bis ins Erwachsenenalter weiter. Aber: Viele Unterstützungsangebote helfen, Parentifizierung zu erkennen und zu überwinden. Therapeutische Begleitung, wie zum Beispiel Familientherapie, soziale Unterstützung und die bewusste Selbstfürsorge tragen dazu bei, das Gleichgewicht innerhalb der Familie wiederherzustellen.

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